Shanghai, China09/16–11/16

Franz Schubert

Shanghai ist die reichste, die am meisten verwestlichte und höchstwahrscheinlich auch die facettenreichste Metropole Chinas. Alles ist hier in Bewegung, langweilig wird einem nie. Superluxuriöse Einkaufsstraßen finden sich in Nachbarschaft zu Abbruchsiedlungen, die sozialen Gegensätze sind ebenfalls gewaltig. Die Unterkunft liegt sehr zentral in einem Highrise-Apartment-Hotel in der French Concession, ein idealer und privilegierter Ort, um in einer der größten Städte der Welt zu leben. Das Gebäude heißt La Residence.

Meine Kollegin Hannahlisa Kunyik und ich hatten das Glück, in jeweils eigenen Single-Apartments (geplant wäre ein Doppelapartment gewesen) wohnen zu können. Das Apartment ist für Shanghai-Verhältnisse mit geschätzt 30m2 relativ groß und hat unwahrscheinlich viel Stauraum. Mein Apartment (am Türschild steht Suite) war im 29. Stock. Das Wohnschlafzimmer hatte dank durchgehender Fensterfront gegen Süden sehr angenehmes Licht und Blick auf eingerüstete Zwillingstürme. Wenn man direkt vor dem Fenster steht (oder den Schreibtisch dort hinstellt wie Hannahlisa Kunyik zwei Stockwerke darüber), sieht man zwei sehr beeindruckende Stadtausschnitte zusätzlich. Diese Doppelbaustelle vor dem Fenster war zu Beginn ein Schlafkiller (ging dann ganz gut mit In-Ear-Kopfhörern), untertags ließen sich die Baustellengeräusche mit Klimaanlage bzw. Musik recht gut überlagern. Lärm entkommt man in chinesischen Großstädten eigentlich nie.

Das Stipendium ist an die Shanghai Theatre Academy (STA) mit Schwerpunkt auf Schauspiel, Musicals und entsprechende theoretische Studien angebunden. Da die STA inhaltlich nicht auf zeitgenössische bildende Kunst ausgerichtet ist, gibt es kaum Verbindungen in diese Richtung. Als Atelier hatten wir ein gemeinsames Office im Haus des International Theatre Institutes (ITI). Die Internetgeschwindigkeit dort war wesentlich besser als im Apartment. Allerdings ist es ein Büro mit den entsprechenden Öffnungszeiten (Mo – Fr 08:00 – 20:00 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen geschlossen). Atelierplätze im eigentlichen Sinn sind in halbwegs zentraler Gegend nicht zu finanzieren. Das Office ist 20 min mit dem Bus vom Apartment entfernt, in einer Kolonialvilla untergebracht und sehr, sehr ruhig. Um dieses Office hat sich Hannahlisa Kunyik schon im Vorfeld bemüht, deshalb stand es uns von Anfang an zur Verfügung.

Da ich in Shanghai nur digital produziert habe, war das Office für mich vor allem wegen der schnelleren Internetverbindung notwendig. Mails mit Attachement zu versenden, kann vom Apartment aus sehr, sehr zeitraubend sein. Die meiste Zeit habe ich allerdings im Apartment selbst gearbeitet, ein Schreibtisch, Strom und etwas Internet waren für mich ausreichend.

Ich war für meine Verhältnisse sehr produktiv und habe dafür entsprechend viel Zeit investiert. Für mich war der Shanghai-Aufenthalt auch in künstlerischer Hinsicht sehr erfolgreich. Zusammen mit Niki Passath und Florian Schmeiser wurde ich – kuratiert von Alexandra Gaspar – zum 1st Longli International New Media Art Festival in Longli (Provinz Guizhou) eingeladen und konnte in Shanghai eine 3D-Animation dafür fertigstellen.
Ich hatte ein halbmissglücktes Screening (technische Pannen) in Basement6 zu einem Konzert von Parallel Asteroid.
Dann konnte ich ein aufwendiges Buchprojekt mithilfe diverser Übersetzungsprogramme zum Shanzhai-Phänomen vor Ort umsetzen.
Und gegen Ende der Residency habe ich eine 3D-Computeranimation für ein Screening bei der Shenzhen Independent Animation Biennale produziert.

1. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  Dos:
  Smartphones: Mittlerweile läuft digitale Kommunikation in China fast ausschließlich darüber, deshalb unbedingt mit einem halbwegs aktuellen Gerät anreisen. Ohne entsprechende Chinesisch-Kenntnisse ist es für Navigation, Kommunikation und Reiseplanung unverzichtbar. Es empfiehlt sich, ein halbwegs aktuelles Modell zu verwenden und beim Telefonvertrag mehr in Datenmenge als in Zeit für Sprachanrufe zu investieren. Powerbank und Ladekabel fürs Smartphone dabeizuhaben, ist empfehlenswert.
WeChat: WeChat ist derzeit das Hauptkommunikationsmittel in China und eine Mischung aus Facebook und WhatsApp mit weniger Privacy. Damit können Text-, Bild-, Video- und Sprachnachrichten sowie animierte Sticker verschickt werden, neben Bild- und Sprachtelefonieren ist auch bezahlen (allerdings nur mit chinesischem Bankkonto) möglich. Der QR-Code des eigenen WeChat-Accounts ist im Begriff, die sehr beliebten Visitenkarten zu verdrängen. Fast alle Institutionen, Museen, Galerien, Clubs etc. haben eigene WeChat-Accounts und verschicken darüber ihre Newsletter.
  Don’ts:
  Über Verkehr ärgern bringt gar nichts, am besten versuchen, die Situation von Anfang an zu akzeptieren, sich nicht aufregen ist aber nicht so einfach. Autos dürfen bei Rot abbiegen. E-Bikes fahren auch auf Gehsteigen und sind fast geräuschlos.
2. Wo man super Arbeitsmaterial kaufen kann:
  Fuzhou Rd. (südl. West Nanjing Rd.), eine ganze Straße voll mit Shops für Künstlerbedarf, Büromaterial, Copyshops und (teilweise internationalen) Buchläden. Xing Guang Photographic Equipment City (Luban Rd.) ist ein mehrstöckiges Einkaufszentrum für Kameras, Optik, Stative (alles auch 2nd Hand) mit angeschlossenen PrintShops.
3. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort:
 

In Shanghai gibt es sehr viele Kunstinstitutionen mit internationalem Programm, die Verkaufsgalerien bedienen ein sehr breites, zahlungskräftiges Publikum. Die Szene ist stark kommerzorientiert (weshalb auch Luxus-Einkaufszentren wie K11 einen Artspace betreiben) und wirkt anfangs eher hermetisch. Kontakt zu lokalen Künstler:innen knüpft man am schnellsten in Offspaces. Im September waren in Shanghai vor allem Kunstmessen dominierend, mit Beginn der Shanghai-Biennale Mitte November war dann auch die internationale Kunstszene präsenter. Ab diesem Zeitpunkt gab es deshalb viel mehr Möglichkeiten zum Austausch mit Künstler:innen und Kurator:innen.

Ausstellungsankündigungen
www.artlinkart.com


Kunstinstitutionen
Power Station of Art (PSA): ehemaliges Kraftwerk, sehr interessantes Ausstellungs- und Vortragsprogramm, Shanghai Biennale
www.powerstationofart.com

Bank Gallery: zeitgenössische, international ausgerichtete Kunst
www.mabsociety.com

OCAT hat seinen Schwerpunkt auf im internationalen Kontext relevante zeitgenössische chinesische Kunst
www.ocatshanghai.com

Museum of Contemporary Art Shanghai (MOCA)
www.mocashanghai.org

Long Museum
www.longmuseum.org

Rockbund Art Museum
www.rockbundartmuseum.org

Swatch Art Peace Hotel: internationales Residency Program in einem Nobelhotel am Bund, immer auch österreichische Künstler:innen, haben regelmäßig Open-Studio-Veranstaltungen.
www.swatch-art-peace-hotel.com

Offspaces
am art space: eine der wenigen, von Künstler:innen selbst betriebenen, nicht-kommerziellen Galerien mit sehr spannendem Programm
www.amspacesh.com

Basement6: junges, internationales Künstler:innenkollektiv, betreiben ein über Getränke finanziertes Programm (Ausstellungen, Performances, Konzerte etc.) in einem Kellerlabyrinth
www.basement6collective.com

Bazaar Compatible Program: 9 m3 großer Stand als Whitebox in einer betriebsamen Markthalle
www.w1d3cl183.1mm3d1at3.org/en/projets.html

4. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s den besten Mittagsteller in Laufdistanz:
  Einkaufen: Es gibt immer einen Supermarkt in Gehweite, alle gefühlten 100 Meter ist ein 24/7 Markt, damit ist das Notwendigste rund um die Uhr verfügbar. Ab 22:00 Uhr gibt es an fast jeder Ecke Streetfood … Kaffee ist meistens nicht gut und dabei völlig überteuert, deshalb Tee trinken! Mittagsteller: Der nächste Laden, wo schon mehrere Tische besetzt sind, ist immer der beste. Die Auswahl an Lokalen ist riesig, und es gibt fast immer fantastisches Essen. Eat local food! Je mehr Leute, desto besser. Da alles geteilt wird, gibt es so eine viel größere Auswahl. Wenn möglich Locals mitnehmen, welche am besten auch das Lokal aussuchen. In so einem Fall bei der Bestellung gar nicht mitreden. Mut wird meiner Ansicht nach immer belohnt. Anstellen auch. Schildkröte geht gar nicht!
5. Den Tag lasse ich häufig hier ausklingen (Dinner, Drinks und bester Sound):
  Wenn das Wetter mitspielt: Streetfood ist lustig und billig. B6-Events sind sehr nett. In Shanghai ist immer was los, Veranstaltungsprogramm und Flyer sind per WeChat-Abo erhältlich.
6. Was ich eigentlich gerne schon am Beginn meiner Residenz über das Atelier gewusst hätte:
  Metrocard geht auch für Taxi, U-Bahn-Dienstschluss ist ab 22:30 Uhr. Screenshots mit Adresse in chinesischen Schriftzeichen erleichtern Kommunikation mit Taxifahrern. Taxis sind im Vergleich zu Wien sehr billig. Fahrräder auch. Lieblingszahnpasta etc. mitnehmen (Nachkauf oft unmöglich oder sehr teuer) Limit der Bankomatkarte für Auslandsbehebungen adaptieren. Ohropax mitnehmen. Datenkabel selber mitbringen, Ethernet ist etwas schneller als WiFi. Österreichische Briefmarken mitnehmen (Post vom Generalkonsulat geht ans Außenministerium und kann von dort – wenn frankiert – weitergeschickt werden. Sonst muss sie jemand abholen …) Es gibt einen Empfang zum Österreichischen Nationalfeiertag im Hyatt on the Bund. Mit Leberkässemmeln. Shanghai/Beijing Opera mindestens einmal ansehen, ist hinreißend. Gehörschutz empfehlenswert, läuft sehr laut über eine ziemlich übersteuerte Anlage und hat viele Höhen. Viele Hotels in China haben keine Lizenz zur Beherbergung von Ausländern und machen das auch wegen hoher Geldstrafen darauf unter keinen Umständen. Am besten im Vorfeld klären. Inlandsflüge mit extremen Verspätungen sind sehr häufig. Fliegen ist manchmal billiger als Zug fahren. Am besten auf Ctrip buchen.


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