Moskau, Russland01/22–02/22

Tatjana Hardikov

Bereits beim Ankommen am Flughafen in Moskau wurde mir schnell klar, dass mein Aufenthalt in Russland emotional und nostalgisch werden wird. Als Kind war ich mehrmals in Russland. Damals noch, um meine Großeltern zu besuchen, die in der Nähe von St. Petersburg in einem kleinen Haus, sehr dörflich und einfach, lebten. Mein Vater hatte Russland in der 70er-Jahren verlassen, um ein besseres Leben im Westen zu führen. In der Zeit, die ich jetzt in Moskau verbracht habe, konnte ich das gut verstehen, obwohl so viele Jahre dazwischen liegen und man meinen sollte, dass alles viel besser sein müsste.

Moskau ist eine riesige Stadt. Mein Vater sagt, in Russland nannte man Moskau das „große Dorf“. Nachdem ich gesehen hatte, wie sich ein riesiger Stadtteil relativ wahllos an den anderen reiht, konnte ich das gut nachvollziehen. Der Stadtkern um den Roten Platz ist sehr schön, die Stadt generell gut in Schuss, aber irgendwie verstaubt, als ob die Zeit irgendwann stehen geblieben wäre. Der alte und gepflegte Prunk ist im ersten Moment rührend und schön, aber nach einer Weile fehlte mir das Neue, und das engte mich ein.

Das Atelier in der Fabrika ist geräumig und man kann sehr gut darin arbeiten. Statt eines Fensters befindet sich am Dach ein Oberlicht, das eine sehr schöne Tageslichtstimmung im Atelier schafft. Im Jänner war es aber wochenlang zugeschneit, wodurch es auch tagsüber dunkel blieb. Mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt, und als es im Februar sehr sonnig wurde und der Schnee geschmolzen war, erstrahlte das Atelier im neuen Glanz. Ich konnte sehen, wie toll es wohl im Frühling und Sommer dort sein muss. Leider konnte ich diese Erfahrung nicht mehr machen. Schon Ende Jänner häuften sich die Nachrichten, Russland plane die Ukraine anzugreifen, was ich naiv ignorierte. Ende Februar passierte es dann doch. Am Donnerstag, dem 24.02., nach dem ersten Angriff, hatte ich ein Gespräch mit der Kuratorin der Fabrika ausgemacht, mit dem eigentlichen Ziel, meine Ausstellung zu planen. Doch dafür boten die gegebenen Umstände keine Gelegenheit mehr. Sie schien wie in Schockstarre zu sein und schaltete ihr Handy aus, während wir offen sprachen. Die nächsten Tage wurden nicht besser, die Nachrichten überschlugen sich, und in meiner Unsicherheit buchte ich für Sonntag einen Rückflug nach Wien. Ab Samstag, den 26.2., konnte ich meine Bankomatkarte nicht mehr benutzen, und am Tag meiner geplanten, vorgezogenen Abreise wurde der Flug storniert. Die Rückreise ging dann ziemlich abenteuerlich über St. Petersburg, Wyborg, Helsinki, Riga und dann Wien.

Zu Hause angekommen, packte auch mich eine tagelange Schockstarre. Was war eigentlich passiert und warum? Der Krieg war plötzlich so real geworden. Die Menschen in der Ukraine tun mir leid, denn sie tragen die unmittelbaren Konsequenzen. In Russland bin ich keinem Menschen begegnet, der das nicht ebenso empfand.

Ich bedauere, dass Russland als Land mit so viel Potenzial in der Routine der Unterdrückung lebt.

Moskau bleibt für mich wie eine Liebesbeziehung, die – plötzlich beendet – keine Gelegenheit der Aussprache mehr fand.

1. Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort:
  zu Hause
2. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  Sich immer still und angemessen verhalten, niemanden anquatschen und nicht allzu offen sein.
3. Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin:
  das Atelier
4. Super Arbeitsmaterial gibt’s hier zu kaufen:
  Krasnyi Karandash
5. Das sollte man unbedingt von zu Hause mitbringen:
  Lesebücher
6. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort und wo ich die besten Ausstellungen besucht habe:
  Im Winzavod die Ausstellung New Nature der Recycle Group, wenn man es lieber zeitgenössisch hat.
7. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s das beste Mittagsmenü um die Ecke:
  Die vielen Selbstbedienungskantinen überall in der Stadt (sogar im Gum), wo man für wenig Geld gut und gesund essen kann. Geschäfte gibt es jede Menge.
8. Den Tag lasse ich bei einem Dinner, Drinks, gutem Sound oder zum Networken häufig hier ausklingen:
  im Atelier
9. Was ich eigentlich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte:
  Dass es kaum Austausch im Haus gibt und man sehr auf sich alleine gestellt ist.


Website Resident:              tatjanahardikov.com