Istanbul, Türkei06/18–08/18

Franz Kapfer

1. Monat: Ramadan. Fastenmonat, gemischt mit politischer Propaganda. Wahlveranstaltung Erdoğans in Yenikapi, Großkundgebung mit 500.000 AKP-Mitgliedern, auffällig sind euphorische Anhängerinnen. Zweite Wahlkampfbegegnung mit Erdoğan in dessen Heimatbezirk Kasımpaşa. Aufgeheizte Stimmung, erschreckender Mob. Der polizeiliche Sicherheitsapparat wird immer sichtbarer.

2. Monat: Wahlabend am Taksim-Platz – der Gezi-Park wird seit 2013 durchgehend von 20 bis 40 mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten und zwei gepanzerten Wasserwerfern besetzt –, an diesem Abend fehlt die Polizei gänzlich, dafür hat sich in der Metro-Unterführung ein AKP-Mob eingefunden, der mit Hupen und Knallern Panikattacken verursacht. Der politische Ausnahmezustand wird aufgehoben. OHAL geht, aber O HAL kommt (der Notstand geht, aber „dieser Zustand“ kommt). Regierungsbeteiligung der rechtsextremistischen Partei MHP – ein Ableger der Grauen Wölfe. Mein Internetzugang wird gesperrt. Omnipräsente Inszenierung des gefeierten 2. Jahrestages des gescheiterten Staatsstreiches vom 15. Juli, Tag der Märtyrer – 15 Temmuz Şehitler. Einweihung vieler öffentlicher Erinnerungsdenkmäler.

3. Monat: Dramatische Abwertung der Lira, zensurierte Medienberichte, jede Medienkritik wird unterbunden und verfolgt. Symbole der Grauen Wölfe werden im öffentlichen Raum immer sichtbarer. Selbst Polizisten tragen Logos der Grauen Wölfe auf ihren staatlichen Uniformen.

4. Trotz und gerade wegen des Ausnahmezustandes war es eine sehr intensive und produktive Zeit. Ich möchte sie nicht missen. Konnte viel Material für Installationen sammeln (vor allem in Bezug auf den ausgeprägten Nationalismus und die rechtsnationalen Grauen Wölfe).

1. Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort:
  erholsamer Rückzugsort
2. Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin:
  der Bosporus, die Sonne, das Meer und Istanbul
3. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  kurze Hosen
4. Wo man super Arbeitsmaterial kaufen kann:
  großer Basar Kapalı Çarşı
5. Das sollte man unbedingt von zu Hause mitbringen:
  im Winter Kälte- und Regenschutz, Bücher, vor allem Bücher zur Geschichte der Türkei
6. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort:
  Dirimart (Dolapdere und Nişantaşi), Depo (Tophane), Salt (Galata und Beyoğlu)
Thomas Buesch hat mich sehr gut betreut und mir persönliches Feedback gegeben.
7. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s den besten Mittagsteller in Laufdistanz:
  Café Savoy (mit türkischen Tageszeitungen), Bäckerei beim Depo
8. Den Tag lasse ich häufig hier ausklingen (Dinner, Drinks und bester Sound):
  Sanatkarlar Parki (Liegewiese mit tollem Blick über den Bosporus)
9. Was ich eigentlich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte:
  Den fortgeschrittenen Grad des ausgeprägten Nationalismus und seine Tabus (religiöse, kulturelle, politische Minderheiten). Fotografieren im öffentlichen Raum ist – vor allem bei Polizei und Baustellen – sehr heikel. Wikipedia ist in der Türkei gesperrt (lässt sich nur über VPN-Codes abfragen). In der momentanen Situation wird das WLAN abgedreht, wenn man zu Polizei, Militär und zur politischen Situation recherchiert. Stipendiat:innen sollten nicht negativ über die Türkei im Netz schreiben, die Einträge werden kontrolliert.


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