Peking, China06/18–08/16

Anna Reisenbichler

Mein Aufenthalt in China war phantastisch. Das Land hat mich begeistert, gerade wegen seiner Rauheit und Ambivalenz. Ich habe mich sehr wohlgefühlt in meiner Wohn- und Arbeitssituation und konnte die Zeit gleichermaßen genießen wie nutzen. Peking ist spannend und pulsierend, es gibt unglaublich viel zu sehen, zu kosten, zu erleben und zu bestaunen. Es ist daneben gar nicht so einfach, Zeit zum Arbeiten zu finden. Ich habe meine Arbeit daher auf die Straßen von Peking verlegt und war tagsüber immer sehr viel unterwegs. Ich wollte so viel wie nur möglich sehen, und das ist mir in Peking auch ganz gut gelungen. Ich war außerdem in Shanghai und Nanjing, was mit den Schnellzügen unkompliziert und relativ günstig möglich ist. Insgesamt hatte ich vor, viel mehr zu reisen, aber die Zeit war einfach zu kurz und Peking selbst ist spannend genug. Die Stadt ist durchaus eine Herausforderung: Die Distanzen sind enorm, die Luft ist schlecht, es ist laut und dreckig, und man versteht nichts und niemand versteht einen (außer man beherrscht Mandarin, natürlich), der Verkehr ist dicht, die Reizüberflutung grenzwertig.

Mit dem Taxi war ich in der Stadt nie unterwegs, die U-Bahn ist zeitmäßig leichter zu kalkulieren (keine Staus!), schnell, sauber, billig und total verlässlich. Trotzdem braucht man überall sehr lange hin. Ich bin auch viel mit dem Rad gefahren (im Atelier steht ein gutes), was einfach und angenehm geht (theoretisch gibt es viele Radwege, die aber häufig zugeparkt sind), wenn man keine Angst vor der flexiblen Interpretation der Verkehrsregeln hat und den Smog nicht fürchtet. Atem-Masken kann man fast überall kaufen, und es gibt Tage, an denen man sie auch dringend braucht. Die Luftverschmutzung in China ist real.

Die Betreuung im Residency-Programm ist sehr gut. Vorab bekommt man alle Infos auf Englisch gemailt, die man zur Vorbereitung der Reise benötigt. Der Residency-Koordinator Xiao Rong steht dann vor Ort für alle kleinen und großen Fragen des Alltags zur Verfügung, was gerade anfangs wirklich hilfreich ist. Abgesehen davon ist man aufgrund der Einbindung in das Programm nicht alleine, sondern in einem kleinen Verband mit den anderen, internationalen Residency-Künstler:innen; es werden auch gemeinsame Unternehmungen organisiert. Die Chines:innen sind trotz der oft unüberwindbaren Sprachbarriere sehr freundlich, kinderlieb und hilfsbereit. Dass man von ihnen im Alltag häufig ungefragt fotografiert und/oder gefilmt wird, ist eine Nebenerscheinung, mit der man leben muss. Privatsphäre wird nicht groß geschrieben in China. Für längere U-Bahn- und Zugfahrten empfehlen sich Kopfhörer, die meisten Chines:innen sind lebhaft und in der Gruppe laut oder sie schauen gerne Videos auf ihren Smartphones, und dies auch im öffentlichen Raum mit Ton; einige telefonieren sogar im Theater während der Vorstellung, was außer mich jedoch niemanden gestört hat.

1. Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort:
  Großartig.
2. Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin:
  Meine chinesische Masseurin. Das Essen. Die Unkompliziertheit. Das Team der Red Gate Gallery.
Was mir nicht fehlt: die furchtbare Luft, der verrückte Straßenverkehr und das schlechte Wasser.
3. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  Dos: Essen, wo und was die Chines_innen essen. Die Pekingoper, Akrobatikshows, die Chinesische Mauer und möglichst viele Tempel besuchen. Radfahren. In einem der vielen schönen Parks abhängen und ältere Chines:innen beim Sport beobachten oder Pingpong spielen. Mit dem Schnellzug nach Shanghai fahren. Über Preise verhandeln, und zwar fast immer, und dies am besten als Spiel sehen. Eigenes Klopapier im Rucksack mitführen, auf öffentlichen Toiletten ist selten welches vorhanden. Einen Hand Sanitizer dabei haben. WeChat!!
Don’ts: Starbuck’s, Häagen-Dazs und generell westliche Ketten: teuer und natürlich genauso schlecht wie in Europa. Sich über die Aufmerksamkeit ärgern, die man als Europäer:in beinahe überall erhält: freundlich lächeln und winken oder selbst auch ein Foto machen. Sich über den permanenten Lärmpegel ärgern: Kopfhörer oder Ohropax helfen. Ins öffentliche Schwimmbad gehen, die Hygienestandards sind für europäische Verhältnisse grauenvoll.
4. Wo kann man super Arbeitsmaterial kaufen:
  Ich habe meine Materialien (Stifte, Notizbücher u. ä.) in normalen Supermärkten und Einkaufszentren gekauft, da gibt es tolle Schreibutensilien. Für Papierliebhaber:innen ist China ohnehin ein Paradies. Ansonsten: Xiao fragen.
5. Das sollte man unbedingt von zu Hause mitbringen:
  Seife, Haarshampoo, Hautpflege, denn die normalen chinesischen Sachen sind voller Chemie, und die Inhaltsstoffe kann man auch nicht lesen, alles Importierte ist richtig teuer. Ohropax. Schokolade. Offenheit. Basic Mandarin-Kenntnisse. Möglichst wenige Vorstellungen und Erwartungen: China ist so anders als jedes andere Land, just go with the flow.
6. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort:
  Ich habe viele spannende Künstler:innen aus aller Welt kennengelernt. Die chinesische Kunstszene scheint eher männlich dominiert zu sein. Das Kunstviertel Caochangdi ist künstlerisch viel interessanter als der von Tourist:innen überlaufene 798 Art District. Politische Kunst sieht man in China kaum. Mich haben in erster Linie die älteren Kunstdenkmäler (Tempel, Türme, Häuser etc.) begeistert.
7. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s den besten Mittagsteller in Laufdistanz:
  Gut und günstig Essen oder Einkaufen kann man in Peking überall und zu jeder Tageszeit. Guter Kaffee ist ein Luxusgut, besser auf Tee umsteigen oder den Kaffee aus Ö. mitbringen und zu Hause selbst zubereiten.
8. Den Tag lasse ich häufig hier ausklingen (Dinner, Drinks und bester Sound):
  Am besten immer an einem anderen Ort; Peking bietet unzählige Möglichkeiten. Einmal nach Einbruch der Dunkelheit zum größten LED-Screen Asiens im Shoppingcenter The Place zu fahren, zahlt sich aus. Events beginnen in Peking tendenziell früh, Vernissagen starten häufig schon nachmittags. Die meisten Chines:innen stehen offenbar früh auf und gehen früh schlafen, ich habe mich diesem Rhythmus angepasst.
9. Was ich eigentlich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte:
  Nichts. Sich überraschen lassen ist besser.


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